Freitag, 26. August 2016

Eine letzte Woche Sommer


Der Sommer kam mit Schwerelosigkeit zurück in meine Stadt. Auf meinem Balkon reckten die Blumen ihre kleinen bunten Köpfe in den Himmel. Unwissend, dass es das letzte Mal sein würde. Ich traute mich nicht, ihnen davon zu erzählen. Und so begrüßten sie mich morgens ahnunglos mit immer neuen Blüten. Ich schenkte ihnen Wasser und sprach kein Wort, als ich es ihnen mit meiner pinken Gießkanne beinahe andächtig über die Häupter goss. Sie würden die Wahrheit nicht verkraften.

"Die Straße rauscht wie ein Meer", klang es in meinen Ohren, während zu meinen Füßen tatsächlich eine Horde Blech die Zeit jagte. Ich schaute von meinem Balkon aus über die Stadt, wie ein Leuchtturmwärter über die See. Wissend, dass auf Ebbe Flut folgen würde. Wissend, dass ein milchiger Horizont Unwetter ankündigte.
Ich holte meine ungebügelten Kleider aus der Schublade, die ich in diesem Sommer hatte tragen wollen. Es war nicht dazu gekommen. Nun zog ich jeden Tag ein anderes an. Auch, um ihm zu imponieren, diesem Sommer, der er nie gewesen ist.

Die Zeit war knapp, das wusste ich. Der Sommer auch. Und doch alberte er herum, wie ein in die Jahre gekommener Schauspieler, ließ Glitzer vom Himmel regnen, spendierte mir Eis und wiegte mich in warmer Geborgenheit. Er zog alle Register, wir lachten zusammen über grauhaarige Frauen mit Lavendel im Haar, wir lagen auf Wiesen herum und genossen unser kurzes Glück. Sobald die Sonne untergangen war, küsste er meine Sonnenmilchhaut.

Ich traute mich nicht zu fragen, wann er gehen würde. Wann unsere Zeit ablaufen würde. Wann ich wieder allein und frierend auf meinem Balkon stehen würde. 
Wenn ich mich abends schlafen legte, flüsterte ich leise "Bleib bei mir" in sein gebräuntes Gesicht. Er lächelte im Halbschlaf und antwortete nicht. Eines Tages würde ich ohne ihn aufwachen. Eines Tages würde ich morgens meine Blumen begrüßen und feststellen, dass ihre Farben verschwunden waren. Die Köpfe zum Boden geneigt. Die Zeit der Schwerelosigkeit war zu Ende.