Sonntag, 20. November 2016

Das Wort zum Sonntag



Sonntags gehe ich gern in den Park. Heute war es stürmisch, die letzten Blätter in den Bäumen rauschten, und ich fragte mich kurz, wie sich eigentlich Sturm ohne Blätter anhört. Die Wege waren mit zahlreichen Pfützen verziert, hin und wieder musste ich springen oder balancieren. Und an einigen Stellen lagen so viele Nadeln herum, dass es gar wie ein weiches Bett aussah.

Nach nur wenigen Schritten ergreift mich meist eine angenehme Ruhe. Da gibt es mich und meine Schritte, unkonkrete Gedanken und viel Zerstreuung. Heute war es anders, denn ich hörte Schreie. Laute, aufgebrachte Schreie. Ich wusste sofort, dass sie von den Gänsen kamen, die sonst wie eine Königsfamilie einen Abschnitt des Parks regierten. An ihrem angestammten Platz: Nur einige unbeteiligte Möwen. Die Schreie kamen vom anderen Ufer. Ich folgte ihnen, denn wer weiß, ob da ein gefährlicher Greifvogel saß, den sie vertreiben wollten, oder sich gar jemand eine Weihnachtsgans besorgen wollte.

Als erstes sah ich eine Frau im bürgerlich beige-weißen Wollmantel, die in einer eher verkrampften Haltung Fotos mit ihrem Handy machte. Dann zeigte sich die rote Mütze eines Kleinkindes, das gebannt in eine Richtung starrte. Ich erblickte die Mutter des Kindes, die, gehockt und ähnlich verkrampft, versuchte ein Foto von ihrem Nachwuchs zu machen.

Schließlich entdeckte ich das eigentliche Ereignis, um das so viel Geschrei gemacht wurde: Es gab Futter. Der Parkwächter verstreute kleine Körner, links die Enten, rechts die Gänse. Manchmal sprach er die Tiere mit Namen an. Eine Graugans schien ihn besonders zu beschäftigen: Lisa. "Lisa", sagte er und deutete immer wieder auf das Futter, "hier!". Später fütterte er sie aus der Hand.
Ein anderer Ganter machte wiederholt lautstark auf sich aufmerksam. "Paul", beschwichtigte ihn der Parkwächter, "ist ja gut!"

Das Geschrei hatte aufgehört, ich stand neben der Mutter mit ihrem Kind, der Frau mit der Kamera und einem Herren mit dunkler Jacke und rotem Schal. Wir waren das Publikum. Keiner klatschte. "Fertig", sagte der Parkwächter und ich wusste nicht recht, ob zu sich, den Gänsen oder uns. Aus einem Beutel nahm er einen Schwamm und rieb daran seine Hände ab.
Dann blickte er zu uns, die wir immer noch dort standen. "Das mache ich, weil das Futter so weiß ist", erklärte er. "Wenn ich das an der Hose abwische", und er deutete eine Geste an, "dann ist sie sofort dreckig". Er machte eine Pause. Und weil wir immer noch nicht gegangen waren, sagte er schließlich: "Das hat alles schon so seinen Sinn".