Sonntag, 25. Juni 2017

20.06.17



Zugegeben, ich habe in meinem Leben wenige Erfahrungen mit Maikäfern gemacht. Um ehrlich zu sein: Ich habe öfter das Lied vom Maikäfer und seinen leidgeplagten Eltern gesungen, als dass ich jemals welche in Natura sah. Wahrscheinlich waren sie tatsächlich alle in Pommerland gestorben. Nur einmal, es war eine Nacht in der Auguststraße, da vermutete ich eine Motte hinter meinen grünen Vorhängen. Doch das Brummen wollte nicht enden und als ich früh am Morgen die Vorhänge zur Seite schob, saß da unerwartet ein stattlicher Maikäfer an meiner Fensterscheibe. Seitdem ist mir nie wieder einer begegnet. Und hätte jemand in der Zeitung geschrieben, die Maikäfer wären alle ausgestorben - ich hätte es geglaubt.

Doch dann kam der gestrige Tag. Und mit ihm der Abend. Über dem Feld ein roter Ball, der sich dem Horizont näherte und schließlich verglühte. Wir saßen auf der Wiese mit vielen anderen und beobachteten das Spektakel. Der Himmel flimmerte, die Luft surrte. Als der erste Käfer brummend neben meinem Ohr summte, lachte ich noch und dachte eine Handbewegung könnte ihn verscheuchen. Der zweite Käfer verfing sich in meinem Haar, der dritte flog direkt in mein Gesicht, der vierte kam in einem Sturzflug auf mich zu. Es wurden immer mehr. Dann wagte ich einen Blick zum Himmel und sah hunderte, ja, vielleicht tausende von dicken schwarzen Punkte im pastellfarbenen Gebilde über mir.

Und hätte ich mich an jenem Abend nicht so lebendig gefühlt, ich hätte darum gebeten, dass mich jemand kneift und ich aus diesem Traum aufwache. Die Käfer tanzten nicht in der Luft. Nein, sie zogen höchst chaotische Bahnen durch die beginnende Sommernacht. Als wären sie alle dem Absturz geweiht. Und so kam es, dass wir aufstanden, uns von der torkelnden Meute entfernten, in der Hoffnung, abseits des Grüns Ruhe zu finden. Aber wir hatten uns getäuscht: Die Käfer lagen auf dem heißen Asphalt und zappelten mit ihren kleinen Beinchen. Von den Bäumen fielen sie hinab, wie dicke Regentropfen eines Wolkenbruchs.

Morgen ist die längster Tag des Jahres. Und die Maikäfer werden ihn nicht mehr erleben.